“Warum muss es gerade das sein?”
Diese Frage bekam ich einmal von einer fassunglosen
Bekannten gestellt, als ich stolz meinen Textplayer
vorführte. Beantworten kann ich sie eigentlich immer noch
nicht. Elektronische Laufschriften aus LEDs faszinieren mich
eben schon immer. Eine einigermassen verständliche Erklärung
dafür gibt es nicht ... daher folgt ein Ausflug in eine
seltsame Ecke meines Gemütslebens.
The magic of light emitting diods.
Es müssen LEDs sein! Die Wurzeln dafür sind meiner Jugend zu
suchen, als ich anfing, einfache elektronische Schaltungen
zusammen zu löten. Der “elektronische Würfel” (sieben LEDs
zählen die Würfelflächen 1 bis 6 ganz schnell durch, bis man
einen Taster loslässt) nahm darunter einen würdigen Platz
ein. Die Preise für Logik-ICs und LEDs waren angesichts
meines Taschengeldes astronomisch, die LEDs gingen schnell
kaputt und hatten daher eine kostbare und zerbrechliche Aura
... kleine, teure, geheimnisvolle Schmuckstücke eben. Und sie
leuchten so schön! Und das tun sie so geheimnisvoll. Denn
trotz eines Physikstudiums kann ich mich heute noch wundern,
warum ein Ding, dass eigentlich nur ein Sandkorn ist, unter
Strom in so reinen Farben zu strahlen beginnt.
Nun könnte ich ja weiterhin irgendwelche blinkenden
Schaltungen zusammenbauen ... aber es geht hier ja ganz klar
um höheres:
“Truisms”
Ich erinnere mich noch gut, wie ich in einem Museum für
moderne Kunst völlig fasziniert vor einer
Laufschrift-Installation von Jenny Holzers “Truism’s” stand.
Dort hing in einem weissen Raum ein rotes LED-Display von der
Decke, das ununterbrochen kleine banale Wahrheiten abspulte
(mehr zu Jenny Holzer und ihren Projekten findet sich zum
Beispiel hier).
Gebetsmühlen
Ähnlich spannend fand ich dann auf der Expo in Hannover am
nepalesischen Pavillon die dort aufgestellten Gebetsmühlen -
drehbare Holztrommeln, in die ein kurzes Mantra
eingeschnitten war. Die Idee dabei ist: drehe die Trommel,
und das Mantra betet sich selbst. Je mehr Drehungen, desto
mehr Verdienst!
Konsequenterweise gibt es online-Versionen von Gebetsmühlen (allerdings ist mir unklar,
welche Verdienste man durch deren Ablaufenlassen erwirbt)
(Dieses Gebetsmühlen-Applet wurde freundlicherweise von www.fpmt-osel.org zur
Verfügung gestellt)
“Am Morgen vorgelesen”
Und eine letzte Erfahrungsquelle nenne ich noch: Der seit Jahrzehnten im Radio laufende Sendung “Am Morgen vorgelesen” des NDR. Dort werden verschiedene Werke der
Weltliteratur über viele Morgen hinweg vorgelesen ... immer eine halbe Stunde lang. Zu
einigen Büchern habe ich erst durch das kunstvolle Vorlesen einen Zugang gefunden. Andere
haben mich verwirrt, und niemals habe ich alle Kapitel einer Lesung anhören können.
Jedenfalls begreife ich elektronische Laufschriften seither auch als “optische
Vorlesemaschinen”.
A feeling of enternity: Der ewig strömende Text als Konfrontation
Die ziemlich verschiedenen Weisen der Textdarstellung (Laufband, Gebetsmühle, Vorlesen)
sind für mich nur Ausdruckformen derselben Idee: Texte, die ungestört vom Leser ewig vor
sich hinströmen.
Bei Holzer geht es allerdings um Inhalte, sie wählt die Laufschrift nur als eines von vielen
Darstellungsmedien. Wichtig ist ihr die Darstellung von Texten im öffentlichen Raum, z.B.
analog zu Gedenktafeln oder Werbeplakaten, nicht so sehr die dynamische Darstellung des
Textes an sich.
Meine Idee ist näher an den Gebetsmühlen: Dort wird ein Text als etwas objektiv physikalisch
Vorhandenes erlebt, der unabhängig von Lesern und deren kognitiven Prozessen “einfach da
ist” und dadurch etwas bewirkt.
Ich war fasziniert von dem Gedanken, einen Text dem Leser als ewiges, unabhängiges
Gegenüber zu präsentieren. Frei nach der buddhistischen Beschreibung der Meditation: “Der
Mann sieht den Berg, der Berg sieht den Mann”. Das Wesen eines Textes ist sein Bezug zur
Zeit: Texte wollen “gelesen” werden. Daher fehlt einer in Stein gemeisselten Gedenktafel das
“Nacheinander”, alle Zeichen sind dort gleichzeitig vorhanden. Eine ewig laufende
Gebetsmühle kommt dieser Idee nahe ... aber sie fasst so wenig Text. Eine elektronische
Laufschrift, die die grossen Werke der Literatur anzeigt, ohne erkennbare Wiederholungen,
ohne Unterbrechungen, wirkt auf mich am stärksten.
Die Wirkung auf einen Betrachter eines solchen Textflusses (oder muss man schon “Leser”
sagen?) ist nicht ohne Konflikte. Der Text läuft in eigenem Tempo ab, das unbeinflussbar ist.
Für den Betrachter ist dieses Tempo manchmal zu schnell, manchmal zu langsam: Wir lesen
eher “ruckartig” als vollkommen gleichmässig, wir lesen schneller über Stellen hinweg, die uns
langweilen, und verweilen bei schwierigen oder interessanten Stellen. Erst durch das
vorgegebene gleichmässige Tempo wird der Text zum echten Gegenüber: manchmal
kooperiert er mit dem Leser, manchmal stellt er sich ihm entgegen, auf jeden Fall wird er als
überlegen und teilweise auch erbarmungslos erlebt.
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